Charly - Frangy: Pilgern auf der Via Gebennensis Etappe 3
- Pilgern unter einem Hut - Unterwegs mit Sandra
- 10. Sept.
- 5 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 19. Sept.
Lies jetzt, warum Frau Pilgerhut heute auf 19 Kilometern Schatten sucht und überwindet
Via Gebennensis - Tag 3 -Pilgern durch 's schöne Savoyen

Ich verlasse Charly und meine teure Unterkunft nach einer heißen Tasse Tee und einer vollen Kappe Hustensaft. Selbst den Tee muss ich noch extra bezahlen. Ich habe es noch nicht verwunden, wie man offensichtliche Pilger - wie mich - für so viel Geld übernachten lassen kann, traue mich aber auch nicht auf französisch mit dem Betreiber zu diskutieren. Schließlich war ich gestern, als ich ohne Reservierung ankam, ja sehr froh hier ein Dach über dem Kopf angeboten bekommen zu haben. Letzten Endes war es mein Fehler so blauäugig ins falsche Etablissement zu laufen. Wahrscheinlich bin ich ein blauäugiger Einzelfall.
Den Husten hat die Luxusübernachtung jedenfalls nicht geheilt. Ist unverändert vorhanden und abgesehen von meinem Schatten der einzige permanente Begleiter, den ich derzeit habe. Da hilft kein Jammern, ich will es heute wieder versuchen. Von Tag zu Tag muss ich neu bewerten, ob meine Gesundheit es mir gestattet weiterzugehen bis nach Le Puy. Für heute gebe ich mir die Erlaubnis.
Löwenzahnperformance
Nur ein paar Hundert Schritte später, ist mein Ärger bereits verflogen. Ich befinde mich direkt wieder in der ursprünglichsten Natur Savoyens. So heißt die Region südlich des Genfer Sees, die in Wanderführern unter anderem für ihre schönen Berge und die Farbenpracht der Almwiesen angepriesen wird. Kann ich live nachvollziehen: Was gestern noch als gelbe Löwenzahnfelder bestaunt werden konnte, hat sich über Nacht in ein Meer aus Pusteblumen verwandelt. In meinem Garten zuhause muss ich das nicht haben, aber hier gefällt es mir ausgesprochen gut.

Gelb vor blauem Hintergrund

Der erste Eindruck, der beim Ansehen der Bilder zum heutigen Tag entsteht, täuscht: Sieht doch flach aus! Nein. Es ist keine flache Etappe. Die Strecke hält zu meinem Bedauern wieder 330 Höhenmeter Auf- und über das doppelte für den Abstieg bereit. Da werden meine angeschlagenen Bronchien wieder applaudieren. Also gehe ich es entspannt an, mache zwischendurch Pausen, die mir ausreichend Zeit zum erholen und genießen geben. Statt der gelben Löwenzahnblüten von gestern, bekomme ich heute gelben Raps vor strahlendem Blau geboten. Die Vögel zwitschern glücklich, Hummeln summen, Grillen zirpen, ich huste. Gegen Mittag wird es richtig warm in der Sonne, um nicht zu sagen unangenehm heiß. Ich sehe zwei Probleme auf mich zukommen: 1. trotz Hut zu wenig Schatten, 2.: trotz Flasche zu wenig Wasser.


Vous pouvez me donner de l' eau, s' il vous plait?
Es geht heute viel über Wiesen und Felder, deshalb gibt es wenig Bäume, die Schatten spenden. Orte und entsprechende Möglichkeiten sich mit Essen oder Wasser zu versorgen sind ebenfalls Wunschdenken. Bis zum Etappenende in Frangy gibt es keine Infrastruktur für Pilger. Und diese Foodtrucks, die in Spanien wie eine Fata Morgana aus dem Nichts am Wegesrand auftauchen und Pilger beglücken - die findet man hier natürlich auch nicht. Wenn überhaupt, stehen vereinzelt landwirtschaftliche Höfe am Jakobsweg. Und ja, ich bin mittlerweile ziemlich durstig. Als ich ein paar Kilometer später an einem Häuschen vorbei komme, indem ein Mann im Vorgarten arbeitet, gehe ich erst daran vorbei. Günstige Gelegenheit, kurz gezögert, dann umgedreht. Ich tue das höchst ungern - wer springt schon gerne über seinen eigenen Schatten - frage auf französisch, ob er mir meine Flasche auffüllen würde. Ja. Natürlich ist das gar kein Problem. Sei offen, geh auf Menschen zu und du wirst belohnt. Dieser Franzose ist sehr nett und hilfsbereit, aber mir fällt es trotzdem schwer Fremde um etwas zu bitten. Auch, wenn es nur Wasser ist.

Frisch getränkt komme ich an an einer Weide mit drei Stuten und ihren Fohlen vorbei. Zuckersüß. Ich glaube, den Fohlen ist auch zu warm. Zwei schlafen tief und fest in der Sonne, kriegen nicht mal Sonnenbrand davon. Die haben es gut, und den Milchhahn immer in Reichweite. Warum kann ich kein Fohlen sein?

Brücke beim Wasserfall Barbannaz
Etwas später überquere ich eine Fußgängerbrücke (in der Nähe von Les Malpas) parallel zu dieser fotografierten Brücke. Endlich ein wenig Schatten. Leider kann ich den Wasserfall, den es hier geben soll, nicht sehen. Ich vermute, ich bin zu hoch, dazu auf der falschen Seite. Mit einem größeren Umweg hätte ich sicherlich in die Schlucht absteigen können, um ihn von unten bewundern zu können. So höre ich ihn nur zwischen den Felsen ein bisschen plätschern und gurgeln. Aber dass es ganz schön tief runter geht, das erkenne ich durch einen Spalt zwischen vielen wildwachsenden Büschen und Natursteinen hindurch. Ein Umweg ist heute allerdings keine Option für mich.

Ich bin ziemlich froh, als ich nach einem letzten, steileren Anstieg bei Chaumont, einem Dorf mit beinahe mittelalterlichen Charakter, das die Umgebung überschaut, es Richtung Frangy nur noch bergab geht.
Die Region um Frangy ist in Frankreich bekannt für ihren Weinbau. Der Weißwein, der hier hergestellt wird, heißt Roussette de Savoie (Rebsorte Altesse). Eine bunt bemalte Willkommenswand in Frangy lässt vermuten, dass er schmeckt und die Einheimischen stolz darauf sind. Ansonsten erkenne ich zumindest ein bisschen bewegtes Leben in den Straßen, ein paar Geschäfte und einen größeren Supermarkt. Aber ich bin zu kaputt, um mich direkt ins pralle Leben hineinzuwerfen und das Städtchen anzusehen. Mein Gesicht ist gerötet vor Hitze und Anstrengung, mein T-Shirt zum auswringen. Ich setze mich in das nächstbeste Straßencafé und stürze dort eineinhalb Liter Flüssigkeit in einem für mich atemberaubenden Tempo herunter. Nein, keinen Roussette.
Dritte Übernachtung: Frangy

In Frangy bekomme ich nur mit Mühe eine Übernachtung. Eine Unterkunft für Pilger ist zwischenzeitlich komplett geschlossen worden, ein anderes Quartier bereits belegt, die Auswahl insgesamt eher dürftig. Daran muss ich mich erst noch gewöhnen. Deshalb schlafe ich - wie gestern - wieder in einer: Auberge. Wieder bin ich der einzige Gast. Diesmal habe ich aber aufgepasst und vor dem Einchecken direkt nach dem Preis gefragt. Die "Ferme de la Cave" ist ein Gasthof, der normalerweise auch Abendessen anbietet, aber das Restaurant hat heute leider geschlossen. Das Zimmer dort, einfach und sauber, kostet 63 Euro. Ohne Frühstück. Das ist weniger als die Hälfte von meinen gestrigen Übernachtungskosten und dennoch auf Dauer zu teuer für mein Budget. Die französischen Preise sind wesentlich höher als das spanische Niveau, das ich vom Camino Frances gewohnt war.
Ich hab mich bisher noch nicht getraut bei einem "accueil jacquaire" (private Gastgeber, organisiert durch die französischen Jakobsfreunde) anzurufen und in deren vier Wänden zu schlafen. Abendessen und Frühstück ist dort inclusive, bezahlt wird das, was angemessen ist, auf Spendenbasis. Aber es wird langsam Zeit für einen Versuch, denn diese Auberge-Preise sind mir auf Dauer zu hoch.
Leider habe ich verpasst ein Foto meiner Unterkunft zu machen. Oder vom Ort Frangy generell. Ich war einfach zu fertig, habe geduscht, kalt gegessen (Supermarktfood), Hustensaft geschlürft und dann schnell geschlafen.
Der nächste Stopp heißt für mich: Seyssel
Wenn du die hustende Frau Pilgerhut weiter durch Frankreich begleiten willst, lies weiter im nächsten Beitrag.
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