Start in Saint-Jean-Pied-de-Port Ende April 2022. In sechs Wochen möchte ich in Santiago de Compostela ankommen. Ich bin gerade 50 Jahre alt geworden, meine logistische Vorbereitung ist gut, meine Fitness eher bescheiden, meine Entschlossenheit groß, den langgehegten Wunsch umzusetzen. Ich gehe allein. Nur mein Hut, mein Rucksack und ich.
Blick von Saint-Jean-Pied-de Port Richtung Pyrenäen. Dort geht es Morgen hinauf. Der Ort und die Umgebung riechen aus allen Poren nach Frühling und Pilgerschweiß. Ein paar Fotos vom Tag vor dem Aufbruch:
SJ begeistert mich. Love at first sight. Das großartige Panorama, die besondere Atmosphäre und die mit regionalen Köstlichkeiten gefüllten Geschäfte. Besonders der Laden in SJ mit den Miniaturgitarren legendärer Rockgitarristen hat es mir angetan. Dazu überall viele alte Steine, zusammen mit einer Menge Jakobsmuscheln, eingemauert, verlegt oder lose zu kaufen, zeugen von einer pilgerträchtigen Vergangenheit.
TAG 1 auf dem CF von SJPdP nach Orisson
"Mein Abenteuer beginnt mit einem einzelnen Schritt " (ich zu mir)
Anstrengende 8 Kilometer, sehr steiler Aufstieg nach Orisson. Der Frühling vom Vortag bleibt im Tal zurück. Es wird kalt, ungemütlich und später auch nass. Weise Entscheidung für mich die Pyrenäenetappe in zwei Tage zu teilen.
Tipp: Wer nicht gut trainiert ist, tut gut daran die Route Napoleon nach Roncesvalles, wie ich, in zwei Tage aufzuteilen und vorab in der Refuge Orisson oder Borda zu reservieren.
TAG 2 auf dem CF von Orisson nach Roncesvalles
"Wie Sie sehen, sehen Sie nichts!" (Ich zu mir)
Mistwetter! 6 Grad, Regen und viel Nebel auf der Route Napoleon über die Pyrenäen. Das hatte ich mir in meinen Vorstellungen immer ganz anders ausgemalt. Die tollen Ausblicke und Fotos , die ich so bei Anderen gewundert hatte, bleiben mir leider verwehrt. Konditionell die schwierigste Etappe. So froh, als das Kloster Roncesvalles endlich vor mir steht. Sogar beheizt!
TAG 3 auf dem CF von Roncesvalles nach Zubiri
"Wer schlecht eingelaufenes Schuhwerk hat, ist heute reif für die ersten Blasen" (Pilger zu mir)
Nur noch 790 Kilometer bis Santiago. Fast ein Homerun. Dadurch, dass ca. 300 Pilger gleichzeitig vom Kloster Roncesvalles starten, ist es ordentlich voll auf den ersten Kilometern. Viel voller, als ich dachte. Der letzte steile Abstieg des Tages über Steinplatten nach Zubiri eine Herausforderung, die am Ende des Tages viel Konzentration erfordert, um nicht zu stolpern. Wanderstöcke auf diesem Stück absolut zu empfehlen! Erste Blase unvermeidbar.
Ich war zu beschäftigt mit Reden und nicht Umfallen, um im zweiten Tagesteil Fotos zu machen.
Tipp: Zubiri ist ein bettentechnisch ein Nadelöhr. Langschläfer und langsame Pilger reservieren besser vor!
TAG 4 auf dem CF von Zubiri nach Pamplona
"Mit dem Energielevel eines Braunbären im Winterschlaf habe ich mich nach Pamplona geschleppt" (ich zu Pilgerin)
Meine Annahme, dass es ab Zubiri mehr oder weniger nur noch flach weitergeht bis Pamplona war fatal und nicht faktengestützt. Auch diese Etappe hat durchaus ihre erwähnenswerten "Hügel". Ist landschaftlich jedoch sehr schön. Nach den vorausgegangenen, sehr anstrengenden Tagen, die mich über meine Leistungsgrenze hinaus gefordert hatten, fühle ich mich müde und ausgelaugt. In Pamplona muss der erste Ruhetag her. Das Wetter ist erheblich wärmer und sogar sonnig geworden.
TAG 5 auf dem CF Pause in Pamplona
"Niemand weiß, was in ihm drinsteckt, solange er nicht versucht, es herauszuholen." (Ernest Hemingway)
Traumwetter in Pamplona, nicht nur mir, sondern auch Hemingway hat es schon hier gefallen. Das Zitat oben, ist leider von ihm und nicht von mir. Im Cafe Iruna hat er ein paar Peseten ausgegeben, deshalb steht wohl eine lebensgroße bronzene Statue von ihm dort. Die Stadt sprüht vor architektonischem Charme und die Menschen vor spanischer Lebensfreude. Es gibt auch einen tollen Pilgershop in der Nähe der Kathedrale. Die Pilger treffen sich abends in den Restaurants an der Plaza del Castillo genießen den traumhaften Frühlingsabend.
Tipp: Wer nach den anstrengenden ersten Tagen einen Ruhetag braucht, sollte ihn sich hier gönnen.
TAG 6 auf dem CF Von Pamplona nach Puente la Reina
"Der Alto de Perdon kennt heute kein Pardon." (ich zu Pilgerin)
Hinter Pamplona wartet der nächste Berg auf seine Bezwingung. Der Alto de Perdon auf dessen Höhe das berühmte, viel fotografierte Pilgerdenkmal errichtet wurde. Es ist sehr windig oben, weshalb man wohl in der Nähe eine Menge hörbarer Windräder aufgestellt hat. Ich werde fast samt Hut weggeweht. Außerdem ist es ungemütlich kalt, der Himmel dunkelgrau. Zu kalt für eine längere Pause. Weiter geht es vorbei an blühenden Rapsfeldern nach Puente de la Reina, Stadt am grünen Fluss Arga. Die Brücke wurde im 11. Jahrhundert extra für die Pilger gebaut! Bin mächtig froh, dass ich nicht schwimmen muss.
TAG 7 auf dem CF Von Puente la Reina nach Villatuerta
"Blumen sind das Brot für die Seele." (chinesische Weisheit)
Heute hat meine Seele einen vollen Blumenmagen. Tolle Etappe für Blumenliebhaber mit vielen "Poppies", knallroten Mohnblumen. Ich könnte tausend Fotos machen, beschränke mich dann aber doch auf ca. 20.
Ab und zu gibt es auf dem Camino aus dem Nichts auftauchende kleine Pilgeroasen. Für eine Spende bekommt man an diesen Orten Obst, Nüsse, Kekse, Kaffee, Tee und Kaltgetränke, nur keine Elektrolytinfusion.
Ich pausiere in einem uralten Olivenhain mit anderen erschöpften Pilgern. Die Vögel zwitschern, ein paar aufgehängte Windspiele schaukeln zart im Wind. Ein Augenblick für die Ewigkeit.
Ich bin immer noch jeden Abend extrem müde. Aber ich komme jeden Tag da an, wo ich es mir vorgenommen habe!
Unfassbar die erste Woche ist schon vorbei und ich vollgestopft mit großartigen Eindrücken!