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Meine Pilgerberichte von der Via Gebennensis: Etappe 1 Genf - Neydens

  • Autorenbild: Pilgern unter einem Hut - Unterwegs mit Sandra
    Pilgern unter einem Hut - Unterwegs mit Sandra
  • vor 1 Tag
  • 6 Min. Lesezeit

Lies unten, warum Frau Pilgerhuts Start nicht besonders gelungen war und was besser hätte gehen können


Via Gebennensis - Tag 1 - Grenzen überschreiten

Blick auf Genf - für mich keine Offenbarung
Blick auf Genf - für mich keine Offenbarung

Anreise mit herben Beigeschmack


Sonntag, 27. April. Die Via Gebennensis ruft mich. Von Genf bis nach Le Puy-en-Velay möchte ich gehen. 350 km. Ich bin bereits nachmittags mit dem Zug in die Schweiz gereist und habe eine erste Übernachtung in Genf eingeplant. Ich war noch nie am Genfer See, und dachte es sei eine gute Gelegenheit sich auch die namensgebende Stadt ein wenig anzuschauen, bevor ich Montag lospilgere. Aber bereits auf der Zugfahrt merke ich - ich fühle mich gar nicht gut. Mich plagt ein starker trockener Husten und das bereits seit mehreren Tagen. Es sind die Ausläufer eines grippalen Infekts, der mich schon auf meinem letzten Trainingstag Mitte April am Moselcamino in Enkirch frühzeitig ausgeknockt hatte.

Es wäre sicher vernünftiger gewesen zu Hause zu bleiben und sich in Ruhe auszukurieren, statt die Bronchien herauszufordern und sich in den nächsten Wochen jeden Tag extrem zu belasten. Lieber Grenzen verschieben, statt Grenzen überschreiten und darüber richtig krank werden. Ich sehe das schon ganz klar, leider ist "vernünftig" aber nicht mein zweiter Vorname. Ich will mein Vorhaben - die Via Gebennensis zu pilgern- nicht kurzfristig absagen. Ich will es trotz Husten versuchen und zunächst von Tag zu Tag neu entscheiden, ob es Sinn macht. Abrechen kann ich dann immer noch.


Erste Enttäuschung

 Für die nächsten drei Tage, die letzten im April, bleibt die Kirche komplett geschlossen
 Für die nächsten drei Tage, die letzten im April, bleibt die Kirche komplett geschlossen

Die Stadt ist für mich, ähnlich wie mein Gesundheitszustand, eine Enttäuschung. Hatte ich mir anders vorgestellt. Schöner. Vielleicht liegt es an meiner gedrückten Laune. Als ich schließlich hustend an der Kathedrale St. Peter ankomme, ist diese bereits geschlossen. Ich bin exakt 30 Minuten zu spät dran. Mein Pech manifestiert sich auf einer vor dem Eingang angebrachten Hinweistafel. Ich ahne schon nichts Gutes, als ich viel rot auf dem Plan entdecke. Klar, es heißt für mich: die Kirche bleibt auch Montag geschlossen.

Wie schade, ich hätte mir so gerne noch in Genf, in St. Peter, den ersten Stempel für meinen Pilgerpass geben lassen. Aber das sollte wohl nicht sein.






Erste Orientierungsprobleme


Am anderen Morgen verlasse ich meine Unterkunft kurz vor neun Uhr, um die nächste frisch geöffnete Apotheke anzusteuern. Ich erstehe mein erstes Schweizer Frühstück: Hustensaft mit Thymian. Warum ich nicht schon zuhause Hustenlöser eingepackt habe?

Ich dachte, es würde auch ohne gehen. "Naiv" gefällt mir schon besser als zweiter Vorname.


Kathedrale St. Peter in Genf
Kathedrale St. Peter in Genf

Auch nach meinem Fail von gestern bin ich immer noch der Meinung, dass mein erster Pilgerpasseintrag in St. Peter gestempelt sein sollte. Also mache ich mich erneut auf den Weg dorthin in der Hoffnung, dass sich trotz der geschlossenen Kirche mein Wunsch erfüllen wird. Entgegen der weitverbreiteten Caminoregel "Du bekommst nicht das, was du willst, sondern das, was du brauchst", bekomme ich heute tatsächlich, was ich nicht zwangsläufig brauche, aber unbedingt will. Ich spreche einen Franzosen an, der gerade im richtigen Moment aus einer Seitentür der Kathedrale heraustritt. Er führt mich Treppen hinunter in ein Untergeschoss, wo er mir den Stempel in den Pass drückt. Mission completed.


Gar nicht so leicht zu finden
Gar nicht so leicht zu finden

Das hebt meine Laune, kann allerdings nicht verhindern, dass ich mich auf dem Weg aus der Stadt heraus gnadenlos verlaufe. Trotz Plan im Guide jaune, trotz gpx Tracks und Komoot App. Ich gehe an der falschen Seite des Kathedralhügels bergab und finde die goldenen Dreiecke, die ich am Vorabend problemlos auf dem Asphalt gesehen hatte, einfach nicht wieder.

Es dauert ewig, bis ich mich orientieren kann. Normalerweise beherrsche ich das eigentlich ganz gut, aber Genf und ich kommen bei unserem ersten Meeting einfach nicht zusammen.

Ich verlasse die Stadt schließlich Richtung Süden und laufe dann ewig an einer vielbefahrenen Straße entlang durch die Randgebiete. Ich bin froh, als ich die Rhone überquere das Ortsschild "Carouge" entdecke und somit Genf endlich den Rücken zukehre. Ab hier wird es merklich ruhiger, der Jakobsweg führt durch ein kleines Wäldchen.




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Bienvenue en France


Noch etwa drei Kilometer sind es von hier bis nach Frankreich, sogar ein Schild kündigt die Grenze bei "Charrot" an.

Ich stelle mir dort einen pompösen Stein vor, der den Übertritt anzeigt, so wie die Spanier einen auf den Pyrenäen als Markierung deponiert haben. Aber entweder ist der Schweizer Grenzstein so klein, dass ich ihn deshalb nicht sehe, oder ich verpasse ihn, weil ich abgelenkt bin von meiner ersten Pilgerbekanntschaft. Wer hatte noch gleich behauptet, es gäbe hier nur wenig Pilger? Da ist doch schon einer! Diego. Ein Genfer spanischer Herkunft, der seine erste Pilgererfahrungen auf der Via Gebennensis sammeln möchte und mir deshalb eine Menge Fragen stellt, während wir zwar nicht steil aber stetig bergauf gehen. Das strengt mich ziemlich an, ich muss französisch sprechen und husten, und ringe abwechselnd nach Luft und Wörtern. Dann werden wir unvermittelt in unserer Bewegung gestoppt. Ein hoher Gitterzaun versperrt den Jakobsweg. Auf Augenhöhe hält er eine DinA4 große eingeschweißte Nachricht bereit. Ich verstehe nicht jedes Wort. Viel zu viel Text. Nur soviel ist mir sofort klar - der Jakobsweg, der an dieser Stelle auf einer langen Brücke über eine vielbefahrene mehrspurige Schnellstraße führen soll ist: Gesperrt. FERMÉ. Zu.

Wie? Was soll denn der Quatsch? Spinnen die? Ich bin echt entsetzt und wenn ich das lässig angebrachte Papier richtig deute, bedeutet das einen zig kilometerweiten Umweg zur nächsten Brücke, wenn wir in Neydens - meinem Tagesziel - ankommen wollen.

Normalerweise halte ich mich ja an solche Verbote, denn in meinem Hirn leuchtet gleich die Glühbirne mit der Aufschrift "Gefährlich-Gefährlich" auf, wenn man solche Sperrungen ignoriert. Aber ich kann beim besten Willen nicht erkennen, warum man hier nicht über die Brücke gehen sollte. Außerdem fühle ich mich nicht in der Gemütsverfassung für wilde Geh-Experimente mit Potential für 3 zusätzliche Extrastunden, wenn ich nicht mal aus dem markierten Genf herausfinde. Ich entdecke einen versteckten Spalt zwischen Gitter und Gebüsch auf der linken Seite der Absperrung. Wir sind uns schnell einig, quetschen uns durch die Miniöffnung hindurch, und tun das, was meiner Meinung nach schon andere Fußgänger vor uns getan haben: Wir gehen über die Brücke. Lange Rede, kurzer Sinn - nichts passiert, wir werden weder verhaftet, mit Steinen beworfen noch bricht die Brücke unter uns zusammen. Drüben angekommen frage ich Diego, wann denn nun eigentlich die Grenze nach Frankreich kommt. Er lacht. Er kennt dieses Stück so nah an Genf: Wir sind schon längst in Frankreich.

Aha. Also, ich hab da nix bemerkt. Kein Stein. Kein Willkommensschild. Keine Frankreichflagge. Nur ein unsichtbarer Strich, den ich wohl überschritten habe. Und das, obwohl die Schweiz nicht mal in der EU ist!


Weinanbaugebiet  auf französischem Boden
Weinanbaugebiet auf französischem Boden


Pilger in Neydens
Pilger in Neydens

Erste Übernachtung: Neydens


Neydens liegt im Département Haute-Savoie in der Region Auvergne-Rhône-Alpes. Der erste Ort hinter der Grenze begrüßt uns mit einem versteinerten Pilger am Straßenrand. Der dazugehörige Campingplatz La Colombiére, der auch Übernachtungen speziell für Pilger anbietet, öffnet zwar erst zwei Tage später am 01. Mai, aber ich habe am Vortag glücklicherweise ein Privatzimmer in einer Pension buchen können. Die liegt allerdings etwa 600 Meter außerhalb vom Zentrum. Man spürt hier schon deutlich - es ist anders als in Genf. Ab jetzt wird es ziemlich ländlich werden. Das prophezeit zumindest mein gelbes Büchlein (= guide jaune) und es scheint recht zu haben. Denn wenn ich mich so umgucke, sehe ich auf der Wiese neben meiner Unterkunft grasende Kühe und Pferde, nebst schöner Bergkulisse. Diego hat mich bereits wieder verlassen, als ich von der Hauptstraße abgebogen bin, um mein Nachtlager zu finden. Als Schweizer gehört er zur Spezies "Megafit" und läuft noch mindestens zehn Kilometer weiter, bis er heut stoppt. Ich hingegen bin maximal Pilgergruppe "Halbfit - mach trotzdem mit" und sehr froh, dass ich, auch wenn die Etappe nur kurz ist, tatsächlich in Neydens ankomme.



Erste Übernachtung in Neydens , 444 Chemins de Devins - alles bestens
Erste Übernachtung in Neydens , 444 Chemins de Devins - alles bestens



Teatime! How wonderful!


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Der Hustensaft hat natürlich bisher überhaupt nicht geholfen, aber wohl auch nicht geschadet, denn zumindest bin ich dort, wo ich hinwollte. Da hatte ich gestern noch erheblich dran gezweifelt. Ich kann mein Glück kaum fassen, als mein Gastgeber mir erklärt, dass ich mich kostenlos am Tee bedienen kann. Tee! Es gibt Tee! Voller Vorurteile war ich! Eingestellt auf eine entbehrungsreiche tee- und dinkelfreie Zeit. Eine eiserne Notreserve an Teebeuteln hatte ich eingepackt, denn ich hegte bisher die Vorstellung, dass die Franzosen nur Kaffee trinken.

Das sind genau die Momente, die mich glücklich machen auf so einer Pilgerreise: Gemütlich nach Etappenende sitzen, mit einer heißen Tasse schwarzen Tee in der Hand, und einem Blick in die Natur. Ist das nicht fantastisch? So schön und so einfach. Ich versuche mich so viel wie möglich zu regenerieren und hoffe, dass ich mich morgen besser fühle.


Das Abendessen verbringe ich zu meiner Überraschung in Gesellschaft einer Französin, Malou, die ebenfalls im selben Haus schläft und als Erzieherin in Genf arbeitet. Auch wenn das Gespräch manchmal stockt, weil mir ein paar Vokabeln fehlen und sie kein Englisch versteht - ich erfahre sehr interessante Dinge über französische und schweizerische Lebensart und wie unterschiedlich die Kinder jeweils erzogen werden. Dann ziehe ich mich zum regenerieren zurück und schlafe 11 Stunden. Der Körper braucht es wohl.


Der nächste Etappenstopp heißt für mich: CHARLY

Wenn du Frau Pilgerhut weiter durch Frankreich begleiten willst, lies weiter im nächsten Beitrag.






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Die Frau (unterm) Pilgerhut:

Kopie von 20220422_192619_edited_edited.jpg

Autorin | Pilgerin | Pilgersteinmalerin | Hobbyfotografin |

4 Jakobswege = 1650 km

Buen Camino!

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