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Pilgern auf der Via Gebennensis: Seyssel - Chanaz Etappe 5

  • Autorenbild: Pilgern unter einem Hut - Unterwegs mit Sandra
    Pilgern unter einem Hut - Unterwegs mit Sandra
  • 24. Sept.
  • 4 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 9. Okt.

Lies unten, welch schwierige Entscheidung Frau Pilgerhut treffen muss und was Chanaz mit Venedig zu tun hat


Via Gebennensis - Tag 5 - Chanaz

Richtig schön - viel Grün hinter Seyssel
Richtig schön - viel Grün hinter Seyssel

Natur pur!


Ich habe mir für heute einiges vorgenommen. Bis nach Chanaz sind es 22 Kilometer. Der Weg ist heute wieder grandios, ich folge der Via Gebennensis zunächst auf schmalen Pfaden mitten durch die Natur. Für BlumenliebhaberInnen wie mich gemacht, und ich könnte schon wieder in die Felder und Wildwiesen springen wie ein dreibeiniges Reh und vergessen, dass ich zum Pilgern und nicht zum Fotografieren hier bin. Ich hatte ja schon in Komm mit mir nach Santiago ein ganzes Kapitel den Mohnblumen gewidmet. Ich fühle mich zurückversetzt, denn auch in Frankreich wippen Anfang Mai ihre Köpfchen genau so hübsch im Wind wie in Spanien. Vor lauter Idylle und Schönheit träume ich zu viel vor mich hin und verpasse die erste Abzweigung, die ich hätte nehmen sollen. Es fällt mir erst nach ca. 500 Metern bergab auf. Also wieder zurück den Hügel hoch. Mal eben einen Extrakilometer eingelegt. Man gönnt sich ja sonst nichts.



Bienvenue à Savoye



Etwas später verlasse ich das Departement Haute-Savoie (=Hochsavoyen) und setze meine Füße erstmalig auf den Boden des Departement Savoie (=Savoyen). Zu meiner Überraschung komme ich heute an einem kleinen Badesee vorbei, an dessen Ufer sich ein paar Menschen aufhalten, dann passiere ich ein kleines Feriendorf mit ansprechend gebauten Häuschen und schließlich, olàlà, sehe ich die erste offene Café-Restaurant-Bar seit Genf. Nach über 70 Kilometern! Das erste Mal in Frankreich, dass es sichtbare Anzeichen gibt für etwas wie leisen Tourismus. Ich habe heute bereits mehr Menschen gesehen, als in den letzten vier Tagen zusammen. Ich weiß, dass es ein Fehler sein könnte dieses Speiseangebot zu ignorieren, aber zu meinem eigenen Erstaunen lasse ich das Haus links liegen. Es sind noch einige Kilometer bis nach Chanaz und es fühlt sich gerade nicht nach Magenknurren an.



Ein überraschendes Hindernis



Weiter geht es entlang der Rhone, in Abschnitten ist der Weg gut zugewuchert, es summt und zwitschert, der Fluss gurgelt leise, der Himmel zieht allmählich etwas zu. Tief in Gedanken versunken, Blick auf den Fluss, prahle ich fast mit einem unnatürlichen Hindernis mitten auf dem Weg zusammen. Ein Riesenschild, das mir mit wenig Charme unmissverständlich klar macht: Diese Route ist geschlossen.

Oh-oh. Schon wieder? Das passiert jetzt schon das 2. Mal in fünf Tagen! Weitergehen? Umdrehen? Münze werfen? Ich bin total ratlos. Warum bereitet einen keiner darauf vor, dass der Jakobsweg gesperrt sein könnte? Und wieso überhaupt? Kein Hinweis auf den Grund, keine ausgeschilderte Umleitung. Dann wird es wohl keine geben.

Ich checke meine Alternativen auf dem Handy und bin ernüchtert. Ein Umweg würde mehrere Kilometer zusätzlich bedeuten und dazu noch an der Straße.

Mutig beschließe ich, mal ein Stück hinter der Absperrung zu gucken, wo das Problem liegt. 100 Meter weiter bin ich schlauer: Es liegt eindeutig schon in der Rhone. Und zwar ein Stück des Uferhanges. Es ist einfach abgerutscht. Weg ist der Weg.

Aber ich könnte die Stelle vorsichtig umgehen. Die Rhone, die sich gierig den Weg geholt hat, sieht hier aber eigentlich ganz friedlich aus und scheint mir zuzuflüstern: „Geh’n se ruhig da lang, junge Frau.“ Ein fieser Trick?

Vertrauen war ja schon immer mein Thema. "Pas de soucis!" - So sagen die Franzosen gerne. Keine Sorge! Also gut. Ich atme tief durch, balanciere dann mit meinem Rucksack reichlich ungraziös um den abgerutschten Hang herum und treffe kurz darauf auf die Absperrung für die Gegenrichtung. Geschafft.




Rhone mit Juragipfel Grand Colombier im Hintergrund
Rhone mit Juragipfel Grand Colombier im Hintergrund

Das kleine Venedig


Mein Ziel erreiche ich, reichlich kaputt, erst am späten Nachmittag. Chanaz ist ein mittelalterlicher Ort mit Charme, dominiert von typisch alten Häusern, die den Canal de Savières säumen, eine Wasserstraße, die die Rhone mit dem Lac Bourget verbindet. Irgendwo habe ich gelesen, dass es das "kleine Venedig Savoyens" genannt wird. Das finde ich nun doch etwas übertrieben. Mini-mini-Venedig. Maximal.

Den Kanal überspannt seit 1989 eine außergewöhnlich stark gebogene und fast futuristisch anmutende Fußgängerbrücke. Entworfen von Lehrern und Schülern eines Gymnasiums. Hübsch, aber für mich ein Stilbruch.

Überhaupt ist dieses Städtchen das erste Anzeichen, dass sich in dieser Region ein wenig Tourismus abspielt. Chanaz scheint ein beliebtes Ausflugsziel zu sein, an diesem extralangen Maiwochenende sowieso. Entlang des Kais gibt es geöffnete Restaurants, kleine Läden, eine Dampfercruise und diese vierrädrigen Drahtesel für 4 Personen zum mieten. Ich erinnere mich daran, dass wir in einem Familienurlaub in Spanien mal so ein Teil ausgeliehen haben. Das ist über 40 Jahre her... Manche Dinge sind einfach zeitlos!


Bogenbrücke in Chanaz für Fußgänger
Bogenbrücke in Chanaz für Fußgänger
Diese Häuschen auf dem See kann man mieten
Diese Häuschen auf dem See kann man mieten
Chanaz am Kanal mit Flaniermeile für Boote und Fußgänger
Chanaz am Kanal mit Flaniermeile für Boote und Fußgänger

Auf dem Weg zu meiner Übernachtung sehe ich in einem mobilen Foodtruck, frisch zubereitete Burger, die mich anlachen. Und es riecht sooo gut! Ich hab sooo Hunger ... und ein Burger wäre sooowas von verdient! "Aber", spricht die Vernunft, "ich will erst in die Unterkunft, Rucksack abladen, duschen, waschen."

Als ich eine gute Stunde später extrem hungrig und vorfreudig zurückkehre um zu essen, ist der Burgerwagen zwar nicht weg, aber, er hat natürlich schon zu. Ich wette, ihm sind die Burger zu früh ausgegangen, aber das ist ja völlig egal. Ich gucke in die Röhre. Manchmal ist das Leben richtig gemein! 


Gasse vor meiner Unterkunft in Chanaz
Gasse vor meiner Unterkunft in Chanaz

Fünfte Übernachtung: Pension Doux Nid


In Chanaz sind die Betten extrem knapp. Oder der Andrang zu groß. Ich hatte alles abtelefoniert, mich bemüht auf dem nahen Campingplatz eine günstige Übernachtung zu bekommen, aber außer Acht gelassen, dass an diesem Ferienwochenende viele Franzosen selbst unterwegs sein würden. Ich hätte dort 2 Nächte bleiben müssen. Ok. Da bin ich raus. Andere in meinem Büchlein angegebene Pilgerunterkünfte hatten seit der letzten Auflage zugemacht oder waren bereits voll. Keine Ahnung mit wem, denn andere Pilger sehe ich tagsüber immer noch nicht. Die einzige Unterkunft die ich reservieren konnte, war ein Gästezimmer in dieser kleinen Pension. Ich habe ein Zimmerchen mit Toilette und Dusche und es gibt am nächsten Morgen ein gutes Frühstück. Sogar mit Schinken. Völlig ausreichend.

Allerdings habe ich dafür wieder über 80 Euro zahlen müssen.



Tagesfazit: Die erste Etappe mit insgesamt 22 Kilometern habe ich gut gemeistert. Ich bin sehr stolz auf mich. Ich huste zwar weiterhin, aber muss wohl akzeptieren, dass es so ist.

Für Morgennachmittag ist Gewitter angesagt. Ich hoffe, erst, nachdem ich in Yenne angekommen bin.

Der nächste Etappenstopp heißt für mich: Yenne

Wenn du Frau Pilgerhut weiter durch Frankreich begleiten willst, lies weiter im nächsten Beitrag.


ree



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Die Frau (unterm) Pilgerhut:

Kopie von 20220422_192619_edited_edited.jpg

Autorin | Pilgerin | Pilgersteinmalerin | Hobbyfotografin |

4 Jakobswege = 1650 km

Buen Camino!

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