Pilgern unter einem Hut - Unterwegs mit Sandra
Bayerisch Schwäbischer Jakobsweg
Etappe 13: Von Bad Grönenbach nach Altusried 12,3 km
Freitag, 03.07.2021
Trockener Schuh am Morgen vertreibt hässliche Fußsorgen
Dank des vielen Zeitungspapieres in meinen Wanderschuhen, das ich vor dem Schlafengehen nochmals getauscht habe, sind diese über Nacht fast trocken geworden. Es fehlen zwar noch ein paar Prozent zur absoluten Schuhrehabilitation, aber ist nicht schlimm. Die Socken sind wieder wie neu, nur nicht so geruchsneutral. Meine Blase ist auch immer noch am selben Ort, macht mir aber unter dem Pflaster nicht allzu viele Probleme. Wenn sie allerdings noch größer werden sollte, reicht auch mein größtes Pflaster nicht mehr, um sie zu schützen.
Gute Voraussetzungen für den Start.
Das schlechte Wetter hat sich in der Nacht verzogen. Für heute sind angenehme Temperaturen, Bewölkung mit sonnigen Abschnitten und kein Regen angesagt. Yippieh!
Ich verlasse meine Unterkunft und werfe nochmal bei blauem Himmel ein Blick auf die Pfarrkirche, deren Turm vom Fuße des Hügels zwischen zwei Häusern ganz schön mini aussieht.
Zuvor habe ich natürlich schon meine heutige Anschlussroute an den Ostweg begutachtet.
Die nächste Tagesetappe Richtung Lindau wird in meinem Outdoorbüchlein eigentlich mit Ankunft in Wiggensbach beschrieben. Das sind 21 Kilometer. Ich laufe heute allerdings nur bis Altusried. Natürlich nicht grundlos.
Keine Herberge in Wiggensbach
Ich weiß nicht warum, aber es ist mir im Vorfeld nicht gelungen eine erschwingliche Unterkunft für diesen Freitag in Wiggensbach zu buchen. Ich habe mehrere Pensionen angeschrieben, zweimal mit dem dortigen Fremdenverkehrsamt und mit vier privaten Vermieterinnen telefoniert. Leider habe ich nur Absagen erhalten. Wiggensbach scheint ein recht beliebter Ferienort im Allgäu zu sein, von dem ich zuvor allerdings noch nie gehört habe.
Wahrscheinlich habe ich unterschätzt, dass Anfang Juli bereits Sommerferien in vielen Bundesländern sind und pandemiebedingt noch viel mehr Menschen als sonst den Urlaub im schönen Bayern verbringen wollen.
Ein Vier-Sterne-Wellness-Hotel im Ort hätte ich buchen können, aber das entsprach preislich nicht ganz meinen Vorstellungen und passte auch nicht zum Pilgern.
Also habe ich kurzerhand umgeplant und den Ort Altusried zum Endpunkt meiner letzten Wochenetappe erklärt, denn dort hat das Gasthaus „Zum Bären“ noch Platz für mich.
Eine gedankliche Kurzetappe
Das verkürzt die heutige Etappe zwar auf 12 km, aber zum Abschluss eine entspannende „Schlenderetappe“ einzulegen ist ja auch was Schönes. Knappe drei Stunden schätze ich – ist ja gar nichts.
Nach den Strapazen der vergangenen Tage hüpfe ich die zur Not auch auf einem Bein bis nach Altusried!
Googlemaps sagt sogar nur etwas mehr als zwei Stunden an. Die haben wohl ganz besonders flotte Fußgänger die Strecke testen lassen, denn einen Stundendurchschnitt von 6 kmh bei etwas mehr als 300 Meter Anstieg – nicht schlecht! Ist fast wie fliegen.
„Der Weise ist in hoher Stellung nicht hochmütig, der gemeine Mensch ist hochmütig ohne hohe Stellung“.
Ok, laut Konfuzius' Zitat bin ich ein "gemeiner Mensch". Also im Sinne von“ einfach gestrickt“ und nicht weise. Und wahrscheinlich hat er sogar besonders Recht was den Hochmut angeht.
Denn, was soll ich sagen, natürlich habe ich die Etappe unterschätzt.
Wer glaubt der Jakobsweg sei ein Spaziergang – nein, es ist keiner
Die erste Herausforderung ereilt mich in Form einer Entscheidung. An einer Bank. Auf die bin ich gestoßen nachdem ich Bad Grönenbach verlassen habe, hinter den Kurkliniken durch einen hübschen Wald gewandert bin und anschließend über Wiesen am Waldrand entlang.
Die Sonne scheint angenehm und ich habe zweimal bisher ein Schild zu einem Waldcafé gesehen, das allerdings leider nicht auf meiner Route liegt. Mir fällt wieder ein wie die Frauen am Nebentisch sich über eine Stelle in der Nähe des Cafés unterhalten haben an der man in warmen Junisommernächten viele Glühwürmchen beobachten kann. Also ungefähr hier. Leuchtkäfer. Die sind toll. Ich habe nur ein einziges Mal bisher in meinem Leben eine natürliche, fast blau leuchtende Lichterkette bestehend aus tausenden wartenden Würmchen, bewundern dürfen, die auf einer warmen Steinwand saßen, um ihre Partner anzulocken. Das war noch im letzten Jahrtausend in Australien gewesen. Ein bleibender Eindruck, gewonnen bei einer nächtlichen Outbackerfahrung. Einfach wunderschön und unvergleichlich.
Äh, wo war ich?
Herausforderung. Entscheidung. Bank. Genau.
An der Bank steht ein Schild.
Der Jakobsweg führt am linken Bildrand geradeaus weiter über das freie Feld. Nach rechts parallel zum Waldrand zweigt jedoch auch ein gut erkennbarer Weg ab.
Dies ist der Weg, der von der bayerischen Pilgergemeinschaft empfohlen wird (deren downgeloadeten gpx Tracks ich ja folge).
Mein Büchlein hilft mir auch nicht wirklich weiter bei der Orientierung, denn ich habe keine Ahnung an welcher Stelle der dortigen Beschreibung ich mich aktuell befinde.
Hm. Es sieht nicht aus als habe jemand, oder die Natur, mit dem Wegweiser Flaschendrehen gespielt und die Richtung verändert. Also ist wohl ein Abzählreim gefragt. Ibben dibben dab und du bist ab. Ich entscheide mich dafür den ausgeschilderten Jakobsweg zu verlassen und nach meiner App zu laufen.
Vom Weg am Waldrand führt eine Abzweigung bald in den Wald hinein. Es geht zunächst ein kurzes Stück relativ steil bergab, dann aber auf einem breiten Fahrweg idyllisch durch den sonnendurchfluteten Wald. Nachdem ich aus dem Wald komme, folge ich eine ganze Zeit dem Fahrweg weiter durch Wiesen. Kurz bevor ich den Weiler Sommersberg erreiche, treffe ich an einer kleinen Fahrwegkreuzung zum Glück wieder auf ein Schild mit Muschel. Irgendwie gibt mir das direkt ein viel besseres Gefühl. Zuvor war ich zwar auch Wanderwegweisern gefolgt, aber es war nicht dasselbe. Schon komisch. Umso happier bin ich nun wieder auf dem beschilderten Camino zu sein.
Fast nahtlos stehe ich vor dem nächsten Dilemma. Das gelbe Pilgerbüchlein schreibt, ich soll hinter Sommersberg nach Süden steil zum Wald hinabsteigen zum Maierhof. Meine Komootapp führt mich jedoch in einem weiten Schlenker eine Teerstraße hinunter Richtung Maierhof.
Ohne Abzählreim entscheide ich mich erneut für die App und somit für den Umweg über die Teerstraße.
Der Weiler Sommersberg besteht aus zwei Händen voll Gebäuden, inclusive Ställen.
Vor einem Haus links der Straße liegt ein großer Hund unter einem Baum und beobachtet mich aufmerksam, während ich näher komme. Ich glaube es wäre clever ihn nicht zu provozieren und weiche freiwillig weit nach rechts aus, aber ich weiß schon worauf es hinauslaufen wird. Als ich sein Revier erreiche, schießt der Hund auf mich zu und bellt mich aus Leibeskräften an. Zum Glück ist er an der Kette, die ihn unsanft zurück reißt, als er deren Ende erreicht. Ich hoffe mal wieder darauf, dass das Hilfsmittel vor tierischer Missgunst, diesmal kein Zaun, sondern eine Kette, hält.
So häufig geht hier ja niemand vorbei, deshalb bin ich schon froh, dass der Hund nicht frei sein Haus und Gut verteidigen darf. Aber es ist nicht halb so schlimm wie die Begegnung auf der Bullenweide vorgestern. Ich brauche mein Herz nicht aus der Hose zu fischen. Der gelungene Angriff braucht eben einen Überraschungsmoment.
E-Biker voraus
Kurz vor dem Maierhof biegt der Jakobsweg scharf rechts von der Straße ab, und bleibt bis zum Waldbeginn noch harmloser Fahrweg. Dann verengt er sich zum Pfad, der nicht mehr von Kraftfahrzeugen befahrbar ist. Von da geht es dann in mehr oder weniger steilen Passagen durch den Wald bis hinunter an die Iller.
Hier wartet das Highlight des Tages:
die stahlträgerblaue Hängebrücke über die Iller.
"Trittsicherheit erforderlich", hatte ich zu diesem Abschnitt irgendwo gelesen.
Ich will gerade dem Weg hinunter zum Wald folgen, als mich ein E-Bike Paar in den späten Fünfzigern, sie etwas kräftiger gebaut, überholt und an der Gabelung anhält. Sie sehen nicht extrem sportlich aus.
Ich höre noch im selben Atemzug wie die Frau zu ihrem Mann sagt:
„Wir probieren das einfach“.
Das finde ich persönlich jetzt mutig.
Und zack, sind die Zwei an mir vorbeigerauscht.
Wenn die das mit dem Rad schaffen, kann ich das wohl locker, denke ich und trabe, ohne E-Antrieb, nicht ganz so rasant hinterher. An der ersten Abfahrt im Wald, die mit walnussgroßen Kieseln übersäht ist, wundere ich mich schon, wie sie das wohl gemeistert haben. Respekt. Kurz darauf kommt die nächste Agilityübung - eine luftige schmale Brücke über ein Rinnsal, die man überwinden muss - und die auf der anderen Seite in die dritte Balanceprobe mündet. Hier wartet ein kurzes Stück schmaler, unebener Steig, links Hang, rechts Abhang. Uijuijuih…wer sich hier verbremst verliert und macht einen Abgang den Steilhang hinunter….
Ich bin mal wieder froh, dass ich meine Stöcke dabei habe. Alles in allem ist der Abstieg zur Iller nicht so steil wie ich es erwartet habe. Lediglich die letzten 50 Meter sind nochmal etwas extremer, aber auch gut durch ein Geländer gesichert. Vor dem letzten Teil habe ich eine gute Aussicht auf die Brücke und den Fluss und kann auch an der anderen Seite am Ufer erkennen , dass die E-Biker dort eine Rast machen.
Eine praktische Hängebrücke
Ich mache ein paar Fotos von oben und steige dann bis zur Brücke herunter. Irgendwo auf dem Weg bergab zum Fluss habe ich den Landkreis Unterallgäu verlassen und den Landkreis Oberallgäu betreten.
Die Brücke hat eine schönere Farbe als das Wasser. Am Ufer der braunen Iller geselle ich mich zu den Wagemutigen und spreche sie an.
Sie geben freimütig zu, dass sie an den zwei steilen Passagen die Räder geschoben haben. Das beruhigt mich ein wenig. Sie wohnen ganz in der Nähe und haben einen Hof. Spontan haben sie sich entschlossen heute bei diesem tollen Wetter einen Tagesausflug zu machen. Toll! Toll, das sowas geht. Ich glaube, das ist eher die Ausnahme als die Regel.
Es ist mittlerweile zwölf Uhr und in der wieder ordentlich warm geworden. Dennoch angenehm bei leichten Wind. Optimales Flugwetter. Auch heute konnte ich auf dem Teilstück bis hierher viele Raubvögel beobachten. Der Mann erklärt mir, dass es sich dabei hauptsächlich um Sperber und Milane handeln würde. Ich habe allerdings keinen blassen Schimmer, wie ich die auseinanderhalten kann.
Ich beschließe hier in dieser Idylle zu rasten und trage erstmal etwas Sonnencreme, besonders auf die Innenseite meiner Arme, auf.
Neben der Brücke steht eine Infotafel. Ich lerne, dass es hier bis 2001 eine Fährverbindung über die Iller gab und die Brücke erst 2007 gebaut wurde (ich nehme an, in den sechs Jahren dazwischen musste man rüber schwimmen).
Erst seit 14 Jahren hat der schwäbische Jakobusweg durch die neue Verbindung eine kürzere und attraktivere Wegführung gefunden.
Spaziergangsende in Altusried
Ich bin fest davon überzeugt, dass der Rest nun aber wirklich ein Spaziergang ist und kurz hinter der Brücke die Dächer von Altusried auftauchen werden. Zumindest in der Ferne.
Aber es taucht nur etwas anderes auf. Vor meinem inneren Auge erscheint ein kleiner Konfuzius und hebt mahnend den Zeigefinger. Ja,ja. Schon gut, ich weiss Bescheid.
Dass, was ich gerade auf der anderen Seite der Iller abgestiegen bin, steige ich nun auf dieser Seite durch den nächsten Wald wieder auf. Dabei kämpfe ich mich einen Weg hinauf, der einem ausgetrockneten Bachbett gleicht, voller Steine und Holz, Äste und Furchen. Zwar nicht schlimm, aber unangenehm zu gehen und anstrengend. Oben angekommen, spähe ich über die Wiesen. Jetzt müsste es aber endlich zu sehen sein, oder?
Immer noch keine Spur von Altusried. Ich laufe insgesamt noch über eine Stunde hinter der Hängebrücke weiter, bis ich in Altusried ankomme.
Ich dachte, halbe Strecke gleich halbe Anstrengung. Aber wieder mal falsch gedacht. Ich bin tatsächlich genau so platt wie an den anderen Tagen. Das auf und ab hat mir ordentlich zugesetzt. Wenn ich mir vorstelle, ich müsste jetzt noch weitere neun Kilometer bis nach Wiggensbach laufen und dabei noch mindestens einen größeren Anstieg bewältigen…. Nee, ich glaube, ich möchte es mir gar nicht genau vorstellen.
Die müde Bärin findet ihre Höhle
Das Universum hat das ja anscheinend schon vorher gewusst, und mir sachte zu verstehen gegeben, dass Altusried wohl die bessere Wahl für mich sei.
Ich checke im Gasthof „Zum Bären“, direkt an der Hauptstraße gelegen, ein und strecke erstmal bärenlike alle viere von mir. Viereinhalb Stunden war ich unterwegs. Gut, ein ausgiebiges Päuschen war dabei. Aber 2 Stunden 20 Minuten für Otto Normalverbraucher? Das halte ich für ein Gerücht.
Ich glaube, auch für den Stausee unter meiner Hautblase ist es besser, wenn ich jetzt eine längere Erholungspause einlege, damit er bald wieder abfließen kann.
Zentral auf dem Marktplatz von Altusried steht ein Marktbrunnen umgeben von ein paar kleineren Geschäften. Ein paar Schritte weiter die Hauptstraße entlang finde ich sogar eine Eisdiele und gönne mir zur Feier meiner Ankunft ein leckeres Eis. Das erste diese Woche.
Anschließend hole ich mir meinen (vorerst) letzten Pilgerstempel in Altusried in der Pfarrkirche St. Blasius und Alexander.
Dort hinterlasse ich meinen letzten Pilgerstein.
Heimwärts
Die Bushaltestelle ist keine hundert Meter von meiner Unterkunft entfernt. Von hier werde ich morgen früh nach Hause fahren.
Vor der Busfahrt bekomme ich noch ein sehr großzügiges Frühstück aufgetischt von dem mindestens vier Personen satt geworden wären. Im Bären hat man einen Bärenhunger. Logisch.
Es war eine körperlich und geistig sehr fordernde Woche. Ich glaube, ich bin ein wenig weiter gekommen mit mir, und meinen W-Fragen. Zwar sind noch nicht alle Antworten gegeben, aber ich bin auf dem richtigen Weg. Und der ist ja bekanntlich das Ziel. Alles Weitere wird sich finden. Da habe ich Vertrauen.
Ich freue mich schon jetzt auf meinen nächsten Wegesabschnitt, der mich nach Lindau am Bodensee führen wird.
Bis dahin:
Infos zu Etappe 13
Meine pilgergfreundliche Übernachtung:
Gasthof Zum Bären
Hauptstr. 20
87452 Altusried
Die gpx tracks für den Bayerisch/Schwäbischen findet ihr hier:
https://www.pilgern-schwaben.de/bad-groenenbach-lindau-nonnenhorn/